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Der segelnde Schreiner

Nora Neuenroth und Alexander Knaub
Nora Neuenroth und Alexander Knaub
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Nora Neuenroth und Alexander Knaub

Berlin, 24.06.2023

Alexander Knaub ist eigentlich ein Landmensch. Er arbeitet in der Tischlerei der Norderstedter Werkstätten. Vor knapp zwei Jahren entdeckte er aber das Segeln für sich. Gemeinsam mit seiner Unified Partnerin Nora Neuenroth segelt er bei den Special Olympics World Games auf dem Berliner Wannsee ins Glück und in die Medaillenränge.


Der Himmel ist grau in Berlin. Es regnet, und die Segelwettbewerbe sind ausgesetzt. Deshalb ist das Unified Segelteam Knaub & Neuenroth jetzt aufs Messegelände gekommen, um sich Wettkämpfe in anderen Sportarten anzuschauen und auch im City Cube vorbeizuschauen, wo das Programm Healthy Athletes läuft. „Der Regen macht uns nichts. Es ist ja nur Wasser von oben. Aber der Wind ist die Herausforderung. Und heute sind relativ starke Böen angesagt“, begründet Neuenroth den ungeplanten Tag an Land. Sie ist die Steuerfrau und auch Unified Partnerin von Knaub, der wiederum von den Norderstedter Werkstätten kommt, die seit 40 Jahren Menschen mit Beeinträchtigung Arbeit und berufliche Qualifizierung bieten. Regen macht auch dem untersetzten und kräftigen Mitt-Vierziger nichts aus. „Wir waren auch schon bei Regen draußen. Und als wir auf dem Wasser waren, kam die Sonne raus. Dann wurde es richtig warm“, erzählt er mit großer Gemütsruhe.


Segeln verhilft zur Gelassenheit. Wobei Gelassenheit schon vorher zu den Grundeigenschaften des Norddeutschen gehört haben dürfte. Jedenfalls macht er ganz diesen Eindruck. Was sich durch das Segeln im Zweierteam aber geändert hat, ist, dass Knaub kommunikativer geworden ist. „Er spricht jetzt einfach mehr. Ich rede viel, ich glaube, manchmal auch zu viel für ihn“, sagt Neuenroth lachend. „Aber die größte Veränderung bei ihm ist, dass er jetzt von sich aus spricht. Es war schon früher so, dass er auf meine Fragen geantwortet hat. Aber jetzt erzählt Alex mir von sich aus Dinge“, sagt Neuenroth, und ihr Partner nickt.


Das Segeln ist für Knaub eine verhältnismäßig neue Erfahrung. Im Jahr 2021 bot die Seglervereinigung Kiel Schnuppersegeln auch für Menschen mit Beeinträchtigung an. „Alex kam mit den Norderstedter Werkstätten. Und sie hatten viel Spaß dabei. Im Winter waren wir ein paar Mal in Norderstedt. Dort sind wir zusammen im Schwimmbad mit Schwimmwesten geschwommen und haben außerdem Theorie gemacht. Alex gehörte zu denen, die Spaß am Segeln hatten, obwohl er vorher noch nie auf einem Boot gesessen hatte“, erzählt Neuenroth.


Angst hatte Knaub vor dem Wasser und dem plötzlich schwankenden Boden des Boots nicht. „Es ist einfach ein etwas anderes Gefühl. Aber man gewöhnt sich daran. Und dann ist es einfach schön, wenn man auf dem Wasser ist“, beschreibt Knaub seine Erfahrungen. Da hat er auch einfach Glück gehabt. Auf der Karibikinsel Guadeloupe, wo Hochseesegeln schon länger zum Programm von Special Olympics gehört, stellt die gemeinsame Überwindung von Ängsten vor dem Wasser einen regelrechten Programmpunkt der Ausbildung dar. „Da muss man sehr behutsam und individuell vorgehen“, sagte Guy Vala, Chef von Special Olympics Guadeloupe.


Das Boot aus Guadeloupe segelt in Berlin in der Kategorie 3 der Unified Teams. „Das bedeutet, zwei Special Olympics Athleten steuern das Boot und der Unified Partner greift nur im Notfall ein“, erläutert Neuenroth. Sie selbst segelt mit Knaub in Kategorie 1. „Das heißt, der Unified Partner steuert und der Athlet bedient das Vorsegel. Bei uns ist das so, dass ich versuche, Alex sehr weit zu pushen, also dass ich wirklich nur meine Pinne und mein Großsegel bediene und alle anderen Leinen macht Alex.“


Die entsprechenden Kommandos erteilt Neuenroth mit einer Mischung aus Seglersprache und Alltagssprache. „Im Prinzip musste Alex eine neue Sprache lernen, denn beim Segeln gibt es relativ viele Fachbegriffe. Die sind noch nicht alle sicher bei ihm. Aber er versteht das relativ gut“, sagt Neuenroth, die von Kindheit an segelt und sehr vertraut ist mit dem ganzen Metier. Auf dem Boot verständigt sie sich mit ihrem Partner vor allem über die Farbe der einzelnen Seile, mit denen die Segel gesetzt und gerefft werden. „Es ist einfacher, wenn wir im Boot nicht sagen: ‚Zieh jetzt mal am Cunningham.‘ Da habe ich schon bei gestandenen Seglern das Problem, dass ich häufig Fragezeichen in den Augen sehe. Sondern wir haben uns darauf geeinigt, dass wir mit den Farben der Leinen arbeiten. Wenn ich sage, die blaue Leine hätte ich gerne, dann weiß er, dass er die blaue Leine für mich bedient.“


Allerdings ist auch das nicht immer ganz einfach. Denn nicht immer fahren Knaub & Neuenroth das gleiche Boot. Auch bei den Wettkämpfen der Weltspiele mussten sie sich auf ein vom Veranstalter gestelltes Boot umstellen. „Da müssen wir immer neu gucken, welche Farbe welche Leinen beim neuen Boot haben. Aber das kriegen wir mittlerweile ganz gut hin“, bilanziert sie.


Alexander Knaub mag am Segeln das gesamte Paket, von draußen sein, den Wind spüren, Geschwindigkeit aufnehmen und bis zum Horizont schauen. Und am liebsten hat er es, wenn das Boot in See sticht, denn dann stehen die schönen Abenteuer ja noch bevor. Segelspezifisches Training an Land betreibt Knaub nicht. Denn er ist ohnehin sehr sportlich. „Wir trainieren in Norderstedt Leichtathletik. Nach Feierabend können wir unsere Sporthallen nutzen und spielen dort Basketball. Wir fahren auch mit dem Fahrrad über die Dörfer“, erzählt er. Sport ist also sein halbes Leben. 

Segel Head Coach Sebastian Fabian hat beobachtet, dass ein Gespür für Teamgeist eine hervorstechende Eigenschaft von Alexander Knaub ist. „Er ist einfach immer da. Er achtet darauf, dass es allen gut geht, geht auch auf Menschen zu, wenn er spürt, da ist vielleicht gerade ein Problem“, sagt Fabian. Und auch Unified Partnerin Neuenroth weiß, dass sie sich auf ihren neuen Segelkumpel verlassen kann: „Panik gibt es bei Alex nicht. Er ist immer ruhig, manchmal vielleicht zu ruhig, wenn ich zum Beispiel gern eine Rückmeldung hätte und nicht weiß, ob er nur ruhig ist, weil nichts mehr okay ist oder immer noch ruhig, weil alles okay ist. Da muss ich dann manchmal ein bisschen nachfragen. Aber sonst ist es einfach schön, dass er gelassen bleibt und mir zuhört und auch immer versucht, das, was ich ihm erkläre, umzusetzen. Alex ist Teamplayer und deshalb auch sehr darauf bedacht, dass es mir gut geht. Und ich bin immer darauf bedacht, dass es ihm gut geht. Und so geht es uns eigentlich immer gut“, fasst sie ihre Erfahrungen zusammen.

Knaub wiederum weiß auch, was er an Neuenroth hat. „Also ich habe an dir nichts auszusetzen. Es ist alles gut. Und ich würde gern weitersegeln mit dir“, sagt er auf seine manchmal karge, aber sehr direkt und geradeheraus wirkende Art. 

Drei von vier Wettkampffahrten gewann das Duo übrigens bisher. Ein, zwei Wettfahrten sind noch für den Samstag geplant. Dann kann es Gold geben, was beide freuen würde. Oder es gibt einfach nur Freude am Draußen- und Miteinandersein. Die komplexe Sportart Segeln kann gerade im Kontext von Special Olympics zu einem ganz besonderen Glücksfall werden, egal auch, ob fein die Sonne scheint oder das Wasser von oben herunterfällt.

Text: Tom Mustroph

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