Berlin, 21.06.2023
Er sprintet auf das Podium, als ginge es um Wettrennen. Die Wettkampfrichterin muss Phil Brown bremsen und festhalten. Das gelingt nur kurz. Er scharrt wie ein Rennpferd. Unter tosendem Jubel der Zuschauer rennt der 55-Jährige zur Hantel. Er kann es kaum erwarten bis der Wettkampfrichter den Arm senkt. Die Freigabe für seine Kniebeuge mit 125 Kilogramm auf der Hantel. Er stöhnt, er beugt die Knie mit geradem Rücken und kommt wieder hoch - gültig, geschafft.
Der schmächtige, am ganzen Körper tätowierte, kahle Kanadier ist ein Unikum. Nicht nur, weil er einer der älteren Teilnehmenden ist. Er gehört auch zur Fraktion der extrovertierten Athlet*innen bei den Special Olympics World Games 2023 in Berlin. Er zelebriert eine Show beim Kraftdreikampf, spielt mit dem Publikum bei jedem seiner drei Versuche im Kniebeugen, Bankdrücken und Kreuzheben.
Die Wettkämpfe der Schwerathlet*innen in Halle 5.2 sind ein Publikumsmagnet. Auf dem Programm stehen an diesem Tag zwei Disziplinen. Neben dem Kraftdreikampf noch der Zweikampf, bestehend aus Bankdrücken und Kreuzheben. Die Gewichte, die dabei bewegt werden, sind beeindruckend. Brown bewältigte bei seinem Sieg in der Klasse M06 noch 65 Kilogramm auf der Bank und hob 170 Kilogramm beim Kreuzheben. "In erster Linie geht es darum, Verletzungen zu vermeiden", sagt Bundestrainerin Nadine Seidl. Eine Gratwanderung, denn der sportliche Ehrgeiz darf auch nicht zu kurz kommen. Schließlich haben alle sieben deutschen Athlet*innen seit den Nationalen Spielen 2022 in Berlin fleißig trainiert und wollen dies möglichst mit einer neuen Bestleistung beweisen. "Dabei gilt es, das richtige Startgewicht zu wählen", erläutert Seidl, "ein sicherer, aber nicht zu leichter erster Versuch, um in den Wettkampf zu kommen."
Das ist in den klassischen olympischen Kraftsportarten ganz genauso. Das klassische Gewichtheben wird jedoch eher von Korruptions- und Dopingskandalen überschattet. Bei Special Olympics spielt der gesundheitliche Aspekt eine sehr große Rolle. Kraftdreikampf, der richtige Umgang mit kaltem Eisen, gilt als eine der Sportarten mit der niedrigsten Hemmschwelle für Menschen mit Beeinträchtigung. "Ich mag den Sport, weil ich Bud Spencer Fan bin", sagt Michael Zentgraf vom Bodelschwingh-Hof-Mecherstädt e.V., und Teamkollegin Jessica Steinbrück, einzige deutsche Teilnehmerin, ergänzt, "weil man sich so schön auspowern kann."
Auspowern und sein Leben verlängern. Ja, Sie lesen richtig. Es gilt als erwiesen, dass gezieltes und korrekt durchgeführtes Krafttraining eine Verlängerung der Lebensspanne zwischen zehn und 17 Prozent bewirken kann. Natürlich wäre eine Kombination mit Ausdauertraining wünschenswert. "Wenn aber Menschen wie ich nicht so gerne Ausdauertraining machen, dann ist natürlich diese Nachricht, dass allein Krafttraining die Sterblichkeit senken kann und auch diese schweren, nicht übertragbaren Krankheiten reduzieren kann, schon mal Gold wert." Das sagt Professor Doktor Stephan Geisler von der IST-Hochschule Düsseldorf, der sein Wissen über Kraftsport als "Der Fitnessprofessor" auf seinem gleichnamigen YouTube-Kanal teilt. Mit schweren Krankheiten sind Diabetes, Krebs oder kardiovaskuläre Erkrankungen gemeint. Die größten positiven Effekte sind sogar bei 30 bis 60 Minuten Trainingszeit pro Woche gemessen worden. Das heißt, zweimal die Woche 30 Minuten reichen wohl schon, um diesen positiven Effekt zu erzielen.
"Das müssen wir herausposaunen", sagt der Fitnessprofessor. "wir müssen die erreichen, die noch kein Muskeltraining machen." Die wohl sympathischsten Botschafter sieht man derzeit in Halle 5.2. der Messe Berlin. Beeindruckende Demonstrationen von Athlet*innen, denen man im Alltag den Umgang mit schweren Eisen so wohl nie zugetraut hätte.
Text: Mark Mittasch
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