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„Special Olympics ist magisch“ - Augen und Herz geöffnet: Marina Müller bekommt durch ihre ehrenamtliche Arbeit einen anderen Blick auf die Welt

Große Freude über Gold bei Trainerin Marina Müller (l.) und Judoka Jasmin Siebelitz bei den Special Olympics World Games in Abu Dhabi 2019
Große Freude über Gold bei Trainerin Marina Müller (l.) und Judoka Jasmin Siebelitz bei den Special Olympics World Games in Abu Dhabi 2019
Große Freude über Gold bei Trainerin Marina Müller (l.) und Judoka Jasmin Siebelitz bei den Special Olympics World Games in Abu Dhabi 2019
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Trainerin Marina Müller (l.) und Judoka Jasmin Siebelitz

Berlin, 20.12.2022

Manchmal wird Marina Müller von ihren Freund*innen oder Kolleg*innen für ihr ehrenamtliches Engagement bei Special Olympics (SOD), der Bewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung, ganz schön gelobt. „Wie toll, dass du da Gutes tust“, heißt es dann. Oder: „Das ist bestimmt super für die Athlet*innen, was du für sie machst“. Marina Müller schüttelt den Kopf. „Ich denke dann immer bei mir: In Wirklichkeit habt ihr den Kern nicht verstanden.“ Sie selbst hat ein völlig anderes Empfinden: „Ehrlicherweise weiß ich nicht, wer mehr profitiert“, sagt sie, „das, was ich zurückbekomme, ist so unglaublich viel wert. Special Olympics ist magisch. Die wichtigste Erfahrung für mich ist, dass mir die Augen geöffnet wurden, die Augen und das Herz zu einer komplett anderen Welt, zu einer Welt, die noch in Ordnung ist.“


Marina Müller wird im nächsten Juni als Headcoach für das deutsche Judoteam bei den Special Olympics World Games Berlin 2023 dabei sein. Ihr Arbeitgeber, der Sportartikelhersteller adidas, mit dem das Team SOD unlängst einen Sponsorenvertrag als Partner bei den Weltspielen abgeschlossen hat, begrüßt ihr ehrenamtliches Engagement, das seit Jahren weit über den Einsatz bei den Weltspielen hinausgeht. Sie war schon bei den Weltspielen 2019 in Abu Dhabi und bei einigen Nationalen Spielen im Einsatz, natürlich auch in Berlin im vergangenen Juni. Davon zehrt sie heute noch. „Es ist so schön zu sehen, was für eine Bühne die Athleten dort bekommen haben, schon in der Vorbereitung auf die Weltspiele“, sagt sie, „es ist einfach traumhaft, diese unbeschreibliche Freude zu sehen, schon wenn jemand in die Halle hineinkommt, diese Begeisterung.“


Es ist das, was sie auch dann immer mitreißt, wenn sie mit Raya, einer Athletin aus ihrem Verein SV Nittendorf, trainiert hat oder mit den anderen bayerischen Athlet*innen bei Wettkämpfen unterwegs ist. Mit Raya hat alles angefangen. Der Arzt, der sie selbst noch als aktive Judoka betreut hat, fragte an, ob seine Tochter mit Down-Syndrom beim Vereinstraining mitmachen könne. Gefragt, getan: Der Verein hieß sein neues Mitglied herzlich willkommen. Das funktioniert nicht überall, noch immer ist es schwierig für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen, Vereine zu finden, in denen sie Sport treiben können. Der Schlüssel dafür liege, so Marina Müller, bei den Übungsleitenden. Denn die geben den Rahmen vor, für die Übungen und für das soziale Miteinander.


Sie selbst ist mit Sport aufgewachsen, sozusagen mit einem Judo-Gen ausgestattet, denn ihr Großvater hat damals den Verein mitgegründet, ihre Mutter hat ihn dann als Vorsitzende übernommen. „Ich habe das von meiner Mutter vorgelebt bekommen“, sagt sie. „Und klar: Natürlich schauen die Kinder oder die anderen Mittrainierenden am Anfang erst mal interessiert und neugierig: Kann die das? Die ist ja ein bisschen komisch. Aber das bespricht man dann ganz offen. Und genau wie für alle anderen Kinder in der Judogruppe galt dann natürlich auch für Raya: `Ich kann das nicht`, gibt`s nicht. Man probiert es aus, ein nein gibt es nicht, und man übt mit jedem Partner.“


Die Judowerte geben überdies unter anderem vor, Respekt vor den Partner*innen zu haben, bewusst miteinander umzugehen und gut aufzupassen, dass nichts passiert. Ohnehin ist es individuell unterschiedlich, wo die Stärken und Schwächen liegen: „Die einen haben ein bisschen Angst vor der Judo-Fallschule, andere trauen sich nicht so richtig, die Judorolle zu machen, wieder andere tun sich schwerer bei einer Dehnübung oder bei einem Wurf, die nächsten bei der Koordination – jeder individuell auf seinem Niveau“, sagt Übungsleiterin Müller. Längst sind Athlet*innen mit Behinderung voll im Verein integriert, es ist für alle selbstverständlich, dass sie im Verein trainieren und Wettkämpfe bei Special Olympics bestreiten. Und der Effekt ist phantastisch: „Alle anderen Kinder in der Judogruppe haben mindestens genauso viel gelernt wie Raya,“ so Marina Müller. 


Das ist ein Aspekt von Special Olympics, der sie immer wieder bewegt: Das Lernen von den anderen. „Wenn ich mit den Athletinnen und Athleten unterwegs bin, geht es einfach um den Moment. Da werden sich keine Sorgen gemacht, was steht übermorgen oder in einem Jahr an“, sagt sie. „Es ist wirklich der Moment mit all den Emotionen, die hochkommen. Ob das Angst ist, ob das Neid ist, ob das Freude ist. All diese Emotionen werden auch so zugelassen, und es gilt, damit umzugehen. Das ist so pur, so rein, so menschlich, so unverstellt, dass man sich selbst in diesem Umfeld auch automatisch nicht verstellen kann. Dieses Umfeld kitzelt unterbewusst das Authentische, das Beste aus einem selbst heraus.“


Sie erzählt von Fragen, mit denen sie konfrontiert werde, die in der Gesellschaft häufig tabu sind, ganz nach dem Motto „das darf man doch nicht sagen, und oh, da muss ich aufpassen, hab ich jetzt irgendjemanden aus Versehen vor den Kopf gestoßen?“. „Und dann steht jemand neben einem und fragt: Warum hat der eigentlich schwarze Haut? Da geht es um die absolut unvoreingenommene Erklärung zu einer Frage. Das bringt einen einfach immer wieder auf den Boden der Tatsachen, und das ist unglaublich heilsam,“ sagt Marina Müller, die in ihrem Job als „Manager Global Community & Social Impact“ für den Bereich Spenden und Wohltätigkeitsarbeit bei adidas zuständig ist.


Entsprechend dem Leitsatz ihres Unternehmens „Durch Sport können wir Leben verändern“ war es schon immer ihr Wunsch, adidas und Special Olympics zusammenzubringen. Als Leiterin eines jetzt ins Leben gerufenen, übergeordneten Projektteams zum Thema setzt sie sich dafür ein, die Partnerschaft über den klassischen Sportmarketing-Vertrag erlebbar zu machen und möglichst vielen Menschen Special Olympics näher zu bringen. Darüber hinaus leitet sie auch noch eine weltweit selbständig organisierte Gruppe (World of Abilities) innerhalb des Unternehmens, die sich mit allem beschäftigt, was mit Beeinträchtigungen zu tun hat. Auch hier wirkt das ehrenamtliche Engagement direkt in ihren Job hinein – und umgekehrt. 


Es passt alles zusammen bei Marina Müller. Und sie möchte ihr Ehrenamt nicht missen. Viel mehr noch. Sie ist dankbar, dass sie den Weg zu Special Olympics gefunden hat: „So viel lernen zu können über das Leben, über mich selbst, über die Momente, ohne dass ich mich hinsetzen muss und ein Buch lesen, oder ohne, dass mir jemand was beibringt, weil`s mir einfach wie Schuppen von den Augen fällt, das ist so ein riesiger Gewinn.“


Text: Ulrike Spitz

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